Die Handschuhe verraten ihn. Gerhard Fehr steht vor dem Klubheim des SV Unadingen und macht Gymnastik, in der Hand hält er ein Paar dieser großen, bunten Gummipranken, die sich auch Torhüter wie Jens Lehmann und Robert Enke vor Spielen über die Finger stülpen. "Beweglichkeit ist für einen Torwart sehr wichtig" , sagt Fehr und dehnt sich erneut.
Er ist 67 und schon lange kein Torwart mehr, aber die Bewegungen, Rituale und das Wissen stecken noch immer in ihm drin. Bei Darmstadt 98 war er einst Zweitliga-Torwart, in der ersten österreichischen Liga stand er für Austria Salzburg zwischen den Pfosten. 32 Jahre arbeitete er anschließend als Torwarttrainer, zuletzt beim FC Thun in der höchsten Schweizer Liga. Vor zwei Jahren zog der Rentner nach Falkau. Er nahm sich des Torwarttrainings bei der SG Schluchsee-Feldberg an und eines Abends joggte Peter Brosi (Feldberg-Altglashütten), Stützpunkttrainer des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), am Sportplatz der SG vorbei und sah gleich, dass der Mann sein Handwerk versteht. Seither ist Gerhard Fehr Torwarttrainer am Stützpunkt in Unadingen und unterrichtet die Junioren der Altersstufen D bis B im Fangen und Abwehren von heransausenden Bällen. "Faule Eier gibt es hier unter den jungen Spielern keine. Alle, die hierher kommen, sind talentiert und motiviert" , sagt Fehr, "die kommen und freuen sich aufs Training und wir auch. So macht das richtig Spaß" .
Fritz Kling hat zugehört und nickt. Er ist elf und kommt aus Donaueschingen. Besser als im Verein sei das Training, sagt er, "viel interessanter und die Übungen sind schwieriger" . Bernd Faller ist ebenfalls D-Junior des Jahrgangs 1997. Er gehörte in der vergangenen Saison beim SV Hinterzarten zu den besten Spielern seines Alters und wurde vom Verein zu einem Sichtungsturnier geschickt. Zwei davon gab es im Sommer 2008, eins in Blumberg und eins in Unadingen. Jeder Verein kann alljährlich die besten vier D-Junioren des jüngeren Jahrgangs dafür anmelden. Faller und drei seiner Mannschaftskameraden waren Ende Juni bei der Sichtung in Unadingen. Für die Stützpunkttrainer Brosi, Fehr und Bruno Carullo (Hüfingen) ist das der Teich, aus dem sie die jungen Talente herausfischen. "Gleich nach dem Turnier haben sie nichts zu unserer Leistung gesagt" , erzählt Faller. Nur eines war klar: Wer es geschafft hat, bekommt noch vor den Sommerferien einen Brief. Faller bekam eine Nachricht und trainiert seither am Stützpunkt. Die Auswahl erfolge nach "TIPS" , sagt Brosi, das bedeutet Technik, (Spiel- ) Intelligenz, Persönlichkeit und Schnelligkeit. Das sind die Hauptkriterien.
15 D-Junioren des jüngeren Jahrgangs haben Peter Brosi und Gerhard Fehr an diesem Montagabend zum Üben um sich herum versammelt. Talente aus Hochemmingen, Schwenningen, Möhringen und Breitnau sind darunter — kein Weg scheint zu weit für den Traum von der großen Fußballkarriere. Zwölf Plätze stehen gemäß DFB für den jüngeren Jahrgang der D-Junioren in Unadingen zur Verfügung, "drei müssen im Herbst gehen" , sagt Brosi. Zwölf ältere D-Junioren hat er ebenfalls unter seinen Fittichen. Bruno Carullo kümmert sich um die 24 C-Junioren, die an diesem Abend ein Testspiel bestreiten und deshalb nicht trainieren. Die D-Jugendlichen sind unter sich. "Es geht hier vor allem um die beidfüßige technische Ausbildung der Kinder. Und wir versuchen natürlich, den Einzelnen in den Bereich der südbadischen Auswahl zu bringen" , sagt Brosi, der seit 2001 als Fußballtrainer am Stützpunkt arbeitet. Zuerst in Hüfingen, seit dem vergangenen Sommer in Unadingen. "Die Technik ist uns sehr wichtig und hier haben wir die Möglichkeit, bei schlechtem Wetter auf den Kunstrasen in Reiselfingen auszuweichen" , sagt der B-Lizenz-Inhaber.
Das Training beginnt und schnell wird deutlich, dass hier mit einer hohen Intensität geübt wird. "Dribbelt mit hohem Tempo. Lasst das Tempo stehen, sonst habt ihr verloren" , schreit Brosi über den Platz, als die Elfjährigen einen Zweikampf-Wettstreit machen. Früher oder später laufe im Fußball alles auf diese Eins-gegen-Eins-Situation hinaus, deshalb seien die individuellen Stärken so wichtig. Aber gerade da bestünden im Vergleich zu früher große Defizite bei den Nachwuchsspielern. Viele könnten zwar gut mit dem Ball umgehen, hätten aber dennoch deutliche Bewegungsmängel. Brosi klemmt sich einen Ball zwischen die Beine und macht auf dem Rasen eine Rolle vorwärts, steht auf und der Ball ist noch immer da, wo er vorher war: zwischen den Beinen des 50-Jährigen . "Macht das mal nach" , fordert er die D-Junioren auf. Die meisten können nicht mal eine Rolle vorwärts und wer sie halbwegs zustande bringt, dem kullert der Ball davon. "Koordination und Rhythmusgefühl sind heute die größten Bewegungsbaustellen bei Kindern" , sagt Brosi.
2002 nach dem Gewinn der Vizeweltmeisterschaft der deutschen Fußball-Nationalmannschaft reformierte der Deutsche Fußball-Bund sein Talentförder-Programm. Die Zahl der Stützpunkte wurde von 170 auf 390 erhöht. "Es soll kein Talent mehr durchs Netz rutschen" , sagt André Malinowski, Stützpunktkoordinator des DFB. In den sechs Bezirken des Südbadischen Fußballverbandes (SBFV) gibt es derzeit 30 Stützpunkte. Zwölf sind in der Obhut des DFB. 18 werden vom SBFV betreut, sechs davon sind für Mädchen, sechs zusätzlich für D- und C-Junioren und neuerdings sechs für die B-Junioren, die der DFB nicht mehr fördert. "Man ist der Meinung, dass die besten Spieler in diesem Alter bereits in den Leistungszentren der Bundesligisten untergekommen sind" , sagt Malinowski, also kümmert sich der SBFV um die anderen. Im Schwarzwald gibt es vier Stützpunkte: In Unadingen trainieren D- und C-Junioren, ebenso in Unterkirnach, in Aasen die B-Junioren und in Hausen vor Wald die besten Mädchen und Juniorinnen.
"Ohne die Unterstützung des Vereins und der Eltern wird sich hier keiner lange behaupten" , sagt Brosi. Auf der Treppe neben dem Sportplatz in Unadingen sitzt eine Mutter. Aus Geisingen hat sie ihren Sohn heran chauffiert, damit ihr während der eineinhalbstündigen Trainingseineit nicht langweilig wird, hat sie sich den 348 Seiten starken Buch-Bestseller "Wüstenblume" mitgebracht. "Ich guck’ e bissel zu und les’ e bissel" , sagt sie. Beim SV Geisingen hat ihr Filius zwei A-Junioren als Trainer, "die machen das auch sehr engagiert" , sagt sie, "aber ich denke, hier lernt er noch ein bisschen mehr, weil lauter Gute um ihn herum sind" .
Beim abschließenden Trainingsspielchen der D-Junioren kickt Brosi eifrig mit. Ruft, dirigiert. Es wird schnell gepasst und viel gerannt, nach einer Weile sind alle außer Puste. "Na, war’s anstrengend?" , fragt Brosi seine Jungs — sie nicken. "Ich habe viel über den Sport vermittelt bekommen und einiges davon möchte ich hier weitergeben: Werte wie Disziplin, Fleiß, Wille, Respekt" , sagt Brosi und schaut zu Reinhard Fehr hinüber. "Ja, Fleiß und Wille sind wichtig. Ohne die kann man kein guter Torhüter und kein guter Spieler werden" , sagt der 67-Jährige und reibt sich die großen, bunten Torwarthandschuhe.
(Badische Zeitung, 30.10.2008, J. Ruoff